Kirchenpräsidentin Christiane Tietz zu Gast im Dekanat
„Mit genau dieser Kirche und ihren Menschen“
Gemeinsam unterwegs für eine lebendige Kirche: Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Christiane Tietz (Mitte) mit Vertreterinnen und Vertretern des Evangelischen Dekanats Dreieich-Rodgau und der gastgebenden Emmausgemeinde Jügesheim: v. l. stellv. Dekanin Birgit Schlegel, Pfarrer Marcus Losch, die Jügesheimer Kirchenvorstandsvorsitzende Corinna Jäger sowie v. r. Präses Dr. Michael Grevel, Dekan Steffen Held und Pfarrerin Sabine Beyer.
Lieber Symphoniekonzert als Taylor Swift, Wandern statt Strandurlaub, eher Pizza als Döner – auf die Frage nach persönlichen Vorlieben antwortete sie mit Charme und Ernsthaftigkeit. Sie berichtete von ihrem Wunsch, einmal nach Südafrika zu reisen, und schilderte einen kleinen Vorfall, als ihr Mann sich kurz nach dem Umzug in die neue Wohnung in Darmstadt ausgesperrt hatte, während sie sich in einer wichtigen Telefonkonferenz befand. Besonders eindrücklich war ihre Erinnerung an das Schulfest der evangelischen Grundschule in Weiten-Gesäß: „Da hat man gespürt, wie lebendig Kirche sein kann, wenn der ganze Ort sie mitträgt.“
Über 60 Gäste aus Synode, Kirchengemeinden, Ehren- und Hauptamt sowie interessierte Gemeindeglieder waren der Einladung des Kirchenkreises gefolgt, um mit Tietz ins Gespräch zu kommen. Unter dem Titel „Mein Traum von Kirche – Glaubensmut und Perspektiven in bewegten Zeiten“ hatte das Dekanat zu einem offenen synodalen Abend geladen, der bewusst auf Formalitäten und Beschlüsse verzichtete und stattdessen Raum für geistliche Impulse, Begegnung und Austausch eröffnete.
Präses Dr. Michael Grevel begrüßte die Gäste und hieß die Kirchenpräsidentin erstmals offiziell im Dekanat willkommen. Die musikalische Umrahmung übernahm Michael Jäger am Klavier.
Geistliche Impulse und persönliche Perspektiven
Dekan Steffen Held sprach in seinem geistlichen Impuls von der Kraft, die Träume entfalten können – nicht als romantische Flucht, sondern als biblisch begründete Bewegung: „Wer träumt, hat noch etwas vor.“ Die Jügesheimer Pfarrerin Sabine Beyer ergänzte aus Sicht der Gemeinde: Ihr Traum von Kirche sei ein Ort, an dem Menschen aller Generationen, Gruppen und Lebenslagen einander begegnen, sich gegenseitig stützen und gemeinsam gestalten – ein Ort gelebter Zuwendung.
Traum und Wirklichkeit gehören zusammen
In ihrem Vortrag nahm Christiane Tietz die Zuhörenden mit auf eine theologische Spurensuche. Ihr Traum von Kirche sei keiner, der sich von der Realität abwende. Sie zitierte den Philosophen Sören Kierkegaard und warnte davor, sich wegzuträumen. „Nicht träumen ohne Bezug auf die Wirklichkeit“, so ihre Mahnung. Kirche solle sich nicht neu erfinden müssen – aber „mit Fantasie und Kraft von dieser Kirche träumen, mit diesen Menschen, in dieser Welt“.
Diese konkrete Gemeinschaft in der EKHN sei es, die sie zu ihrer Kandidatur bewegt habe: „Ich wollte mich nur in dieser Kirche bewerben – mit diesen Menschen, mit denen ich gemeinsam glauben, ringen und gestalten möchte.“ Ihr Traum von Kirche sei eingebettet in das große Bekenntnis zur „einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche Jesu Christi“ – und zeige sich im Miteinander vor Ort, im Gottesdienst, in der Diakonie, in Bildung, Seelsorge und Gemeinschaft. Das alles seien die „Lebensadern unserer Kirche“.
Kirche vor Ort, Kirche für alle
Tietz plädierte für eine Kirche, die nah bei den Menschen bleibt – nicht nur digital oder distanziert, sondern präsent im Ort, im Sozialraum. Für eine Kirche, die Breite zulässt: Nicht nur Hochengagierte zählen dazu, sondern auch jene, „die an Weihnachten in den Gottesdienst kommen, beim Gemeindefest den Grill anschmeißen oder einfach ihren finanziellen Beitrag in Form von Kirchensteuer oder Spenden leisten, weil sie unsere Arbeit gut finden“.
In diesem Zusammenhang sprach sie auch das Thema Kirchensteuer an – sachlich und klar: „Deutlich machen, was es ohne nicht mehr gibt“, lautete ihr Appell. Ob Seniorentreff oder diakonische Anlaufstelle – vieles, was im Alltag selbstverständlich erscheint, sei ohne diese solidarische Finanzierung nicht aufrechtzuerhalten.
Zugleich warb sie für eine enge Zusammenarbeit aller, die Kirche gestalten – Haupt- und Ehrenamtliche, unterschiedliche Berufsgruppen, verschiedene Frömmigkeitsstile: „Wir brauchen alle – die Zeiten sind schwierig, aber gemeinsam tragen wir sie.“ Politisches Engagement und interreligiöser Dialog seien für sie ebenso selbstverständlich und wichtig wie Lobpreis und gelebte Ökumene. Kirche müsse sich einmischen, wo das Leben gefährdet ist, sagte sie: „Glaube ist mehr als persönliche Frömmigkeit – er fragt immer auch nach dem gelingenden Leben für alle Menschen.“
Der Abend zeigte eindrücklich: Wer träumt, hat wirklich noch etwas vor – und wer dabei gemeinsam singt, betet, lacht und diskutiert, ist vielleicht schon mittendrin in einer Kirche, die Mut macht. Bei weitem nicht alles in der Kirche ist traumhaft – aber an diesem Abend war vieles ein Vorgeschmack auf das, was sein kann. Und wie Tietz es ausdrückte: „Ich möchte diesen Traum nicht aufgeben – von Menschen, die auf der Suche nach dem christlichen Gott sind und ihn – manchmal in überraschenden Situationen – auch finden.“
Zur Person
Christiane Tietz wurde 1967 in Frankfurt am Main geboren. Sie studierte Evangelische Theologie und Mathematik auf Lehramt in Frankfurt und Tübingen, promovierte 1999 in Theologie und habilitierte sich 2004. Nach Professuren in Mainz und zuletzt von 2013 bis 2025 als ordentliche Professorin für Systematische Theologie an der Universität Zürich wurde sie im September 2024 zur Kirchenpräsidentin der EKHN gewählt und trat im Februar 2025 ihr neues Amt an.